Thüringen-Monitor
Die Thüringer Landesregierung hat aufgrund des im Jahre 2000 erfolgten Anschlags auf die Erfurter Synagoge als Handlungsinstrument den sog. Thüringenmonitor geschaffen. Dies ist die älteste soziologische Langzeitstudie über die politische Kultur, die es in einem Bundesland gibt. Zu den Untersuchungsfeldern gehört insbesondere die Messung antisemitischer Einstellungen:
- Ein Item zum primären Antisemitismus („Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns.“) ist von Beginn an regelmäßiger Bestandteil des feststehenden Frageprogramms zur Messung rechtsextremer Einstellungen.
- Seit dem Thüringen-Monitor 2013 wurde das Bild antisemitischer Einstellungen durch die Einbeziehung des sekundären Antisemitismus (mit dem Statement „Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit die Opfer gewesen sind.“) geweitet.
- Bei den TM 2017 und 2018 floss schließlich noch der israelbezogene Antisemitismus („Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“) in die Betrachtung ein.
Messergebnisse zum Antisemitismus in den 2014-2018:
Statement | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 |
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„Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns.“ (primärer Antisemitismus) | 9 | 14 | 10 | 9 | 9 |
„Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit die Opfer gewesen sind.“ (sekundärer Antisemitismus) | 26 | 21 | | 29 | 32 |
„Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat." (antizionistischer Antisemitismus) | 34 | 27 | | | |
Zustimmung in Prozent; „stimme voll und ganz zu“ und „stimme überwiegend zu“ zusammengefasst | | |
Der Ministerpräsident gibt jährlich im Landtag über die Ergebnisse des Monitors und die sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen eine Regierungserklärung ab – zuletzt am 8. November 2018.
Jüdische Festspiele in Thüringen
Die jüdisch-israelischen Kulturtage sind das „älteste“ Festival im Freistaat, das sich mit jüdischer Kultur im Kontext israelischen Lebens beschäftigt. Von 1992 bis 2001 lag die Organisation und Durchführung in den Händen des Europäischen Kulturzentrums in Erfurt und wechselte 2002 dann zum FV „Alte und Kleine Synagoge Erfurt e. V.“
Mit den Jahren veränderte sich das Festival ebenso wie die Wahrnehmung und bewusste Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte in Thüringen. Dazu trugen die Wiedernutzung der Kleinen Synagoge, die Schaffung der Alten Synagoge als authentischen Geschichtsort und die Bewerbung Erfurts zum UNESCO-Welterbe ebenso bei wie das Wachsen jüdischen Lebens und Selbstbewusstseins und die Ausdehnung des Festivals auf viele Orte in Thüringen.
Somit konnten die jüdisch-israelischen Kulturtage im 25. Jahr (2017) ihres Bestehens eine positive Bilanz ziehen. Inzwischen hatte sich um den Verein auch ein Netzwerk von Unterstützern, Vereinen und Kommunen gebildet, dem nicht nur die künstlerische Aspekte des Festivals am Herzen lagen, sondern auch die kulturpolitischen.
Immer wieder werden die Veranstalter mit einem Halbwissen über das heutige Israel konfrontiert, das zunehmend von rassistischen und antisemitischen Denkweisen geprägt ist.
Die diesjährigen Kulturtage vom 3. bis 18.November stehen unter dem Motto: „70 Jahre Israel“. Ein Thema, was sowohl interessante und kontroverse Fragestellungen aufwirft und deutlich auf die Geschichte fokussiert ist. Besonders die Entstehung des Staates Israel und seine Position im Nahen Osten von damals bis heute werden in Diskussionsforen thematisiert.
Historisch und authentisch werden Veranstaltungsorte wie die KZ-Gedenkstätte Buchenwald oder die Synagoge in Berkach ebenso sein wie der 9. November, der in mehrfacher Hinsicht ein Gedenktag für das deutsche Volk ist.
Darüber hinaus wird es auch wieder viel Kultur geben: Klassische Konzerte ebenso wie Klezmermusik, Rap-Konzert und szenische Lesung, Puppentheater und Film, Comic und Tanz.
In etwa 60 Veranstaltungen in kleineren Orten (Themar, Saalfeld, Ilmenau) und größeren Städten (Erfurt, Gera, Jena) Thüringens wollen die Veranstalter das Gemeinsame und Verbindende zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen betonen und vermitteln und so viele Alters- und Bevölkerungsgruppen erreichen.
Damit reiht sich dieses Festival in eine einmalige Dichte und Intensität jüdischer Festivals in Thüringen ein: Yiddish Summer und ACHAVA. Sie alle drei stehen für Wurzeln und Traditionen, aber auch für Modernität und Aktualität; vor allem aber auch für einen Teil Thüringer Identität.
Damit ist es in Thüringen gelungen, eine Festivallandschaft von Juli bis November zu etablieren, die trotz unterschiedlicher Ansätze und Zielgruppen sich der jüdischen Kultur mit all ihren Facetten und Ausprägungen verschrieben hat.
Yiddish Summer (YSW)
- im Kulturstadtjahr 1999 aus einem Klezmerworkshop in Weimar entstanden
- bezeichnet sich selbst als umfangreichstes Festival zur Erforschung jiddischer Kultur im interkulturellen Kontext mit ca. 8.000 Teilnehmern
- in diesem Jahr 18. Auflage mit unterschiedlichen Veranstaltungen in Weimar und Erfurt,
- Spektrum reicht von Konzerten und Tanzveranstaltungen über eine Vortragsreihe bis hin zu Workshops für Jiddische Sprache, Gesang und Musizieren
- Verein engagiert sich sehr in der Flüchtlings und Integrationsarbeit in Weimar
- Künstlerischer Leiter: Dr. Alan Bern
Bei dem Austauschprojekt des YSW in Kooperation mit der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und Youth and Music Israel der Universität Haifa musizieren 30 junge Musiker*innen aus beiden Ländern miteinander (= CARAVAN Orchestra). In diesem Programm zeigen sich Gemeinsamkeiten arabischer und jüdischer Musik. Dafür erhielt der Verein 2018 die Shimon-Peres-Medaille.
ACHAVA- Festspiele
- zählen zu den „jüngsten“ jüdischen Festivals in Thüringen
- 2018 Auszeichnung im Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“
- ACHAVA bedeutet auf Hebräisch „Brüderlichkeit“. Diesen Anspruch erfüllt dieses Festival
- u.a. in Schülerprojekten, aber auch mit einem Straßenfest, woran jeder teilnehmen kann
- künstlerisch und finanziell ambitioniertes Projekt
- Künstlerischer Leiter: Martin Kranz
2015 fanden erstmalig die ACHAVA Festspiele Thüringen statt, um ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Dialog zu setzen. Die Ereignisse der jüngsten Zeit zeugen von neuen erheblichen Spannungen zwischen Religionen und Kulturen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, ja lebensnotwendig, die Gedanken von Menschlichkeit und Frieden, von Toleranz und Dialog verstärkt zum Ausdruck zu bringen.
Das Konzept der ACHAVA Festspiele Thüringen setzt – 50 Jahre nach der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen – einen neuen Impuls: Sein Kernpunkt ist der alle Religionen einbeziehende interkulturelle Dialog. Das hebräische Wort »ACHAVA« (Brüderlichkeit) ist dafür ein Schlüsselwort. Der Respekt gegenüber dem Anderen ist das Ziel.
Die Veranstalter und Organisatoren der drei Festivals kooperieren eng miteinander und verstehen ihre Angebote nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung und Bereicherung der Thüringer Kulturlandschaft. Auch Veranstaltungen der Thüringer Landesvertretung in Berlin (Advents- und Chanukka-Konzert am 5. Dezember 2018) und in der Vertretung in Brüssel (Kulturveranstaltung zum 9. November 2018: „The New Achava Orchestra – Gipsy Soul and Jewish Heart“) in Zusammenarbeit mit Achava werden für die überregionale Öffentlichkeitsarbeit dieser Festivals genutzt.
Mit ihnen besitzt Thüringen ein Alleinstellungsmerkmal und dokumentiert gleichzeitig, dass jüdisches Leben aus unserer Geschichte und aus unserer heutigen Gesellschaft nicht weg zu denken ist. Daher werden diese Veranstaltungen durch den Freistaat finanziell unterstützt.
Die Geschichte Thüringens hat seit dem frühen Mittelalter jüdische Wurzeln. In Erfurt, aber auch in ländlichen Regionen Thüringens, gab es reiches jüdisches Leben. Zeugnisse der Geschichte jüdischer Verhältnisse mit Höhepunkten, aber auch mit gewaltsamen Abbrüchen, sind vorhanden. Erfurt mit der ältesten erhaltenen Synagoge Europas (eine Aufnahme in die Liste des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes wurde beantragt), ist hier wichtiger Symbolpunkt für die Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland und Europa (die Alte Synagoge Erfurt stammt zum Teil aus dem 11. Jahrhundert).
Museen
Einzelne Museen verfügen über Sammlungen oder Teilsammlungen von Judaika. So konnte u. a. die Heidecksburg vor geraumer Zeit dazu eine eigene Ausstellung durchführen.
In den Stadtmuseen, in deren Städten jüdische Gemeinden ansässig waren, befinden sich z. t. nicht unbedeutende Zeugnisse jüdischer Kultur.
Darüber hinaus befasst sich das Lutherhaus Eisenach derzeit mit einem Projekt zum „Entjudungsinstitut“ – einer kirchlichen Einrichtung, die während der NS-Zeit die Bibel von allen jüdischen Bezügen „befreien“ sollte. Dazu wird es eine Sonderausstellung mit wissenschaftlichem Begleitprogramm geben.
Gedenkstätten
Nach der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 verschleppte die Polizei 26.000 jüdische Männer aus ganz Deutschland in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald.
Auf einem Areal westlich des Appellplatzes des Konzentrationslagers Buchenwald pferchte die SS 9.845 Verhaftete in einem Sonderlager zusammen. Staatliche Behörden und die SS erpressten dort von ihnen die Aufgabe ihres Besitzes und die Verpflichtung, Deutschland zu verlassen. In den hundert Tagen der Existenz dieses jüdischen Sonderlagers auf dem Ettersberg wurden 250 Menschen um ihr Leben gebracht.
An dieses Verbrechen erinnert ein Gedenkstein für die Opfer des Pogroms und des jüdischen Sonderlagers an der Gedenkstätte Buchenwald. Dort findet auch alljährlich am Jahrestag des antijüdischen Pogroms vom 9./10. November 1938 eine Gedenkstunde statt.
Darüber hinaus wird auch in den Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald jüdischer Häftlinge gedacht – beispielsweise im Lager "Laura" im Thüringer Schiefergebirge. Darüber hinaus wird derzeit in Berga/Elster im Lager „Schwalbe“ mit Unterstützung des Freistaates ein würdiger Gedenkort für die mehr als 300 überwiegend jüdischen Opfer eingerichtet.
Historische Stätten jüdischen Lebens in Erfurt
Bedeutende historische Stätten jüdischen Lebens in Erfurt sind im Netzwerk „Jüdisches Leben Erfurt“ zusammengeschlossen und werden von der Stadt Erfurt betrieben. 2011 haben Stadt, Land und Jüdische Landesgemeinde einen Kooperationsvertrag zu Erhalt, Erschließung und Erforschung des jüdischen Erbes geschlossen. Dazu gehören die Alte Synagoge mit dem Erfurter Schatz, die mittelalterliche Mikwe sowie die Kleine Synagoge. Stadt Erfurt und Land Thüringen arbeiten gemeinsam an der Aufnahme des mittelalterlichen jüdischen Erbes als UNESCO-Welterbe. 2014 hat die Kultusministerkonferenz den Antrag „Alte Synagoge und Mikwe in Erfurt – Zeugnisse von Alltag, Religion und Stadtgeschichte zwischen Kontinuität und Wandel“ in die deutsche Tentativ-Liste für das UNESCO-Welterbe aufgenommen. Mit einer Entscheidung der UNESCO wird im Jahr 2021 gerechnet. Überlegungen zu einer gemeinsamen Bewerbung mit den sogenannten SchuM-Städten Speyer, Worms und Mainz werden nicht weiter verfolgt. Das ist das Ergebnis eines Expertenkolloquiums 2017. Im Rahmen des weiteren Bewerbungsverfahrens überarbeitet derzeit die Stadt Erfurt mit Unterstützung des Landes den Managementplan.
Jüdische Friedhöfe
An den Mittelalterlichen Jüdischen Friedhof erinnern heute Grabsteine im Hof der Alten Synagoge. Der Alte Jüdische Friedhof war von 1811 bis 1878 Begräbnisstätte der sich neu formierenden jüdischen Gemeinde, wurde im NS geschändet und zerstört. Das bis 1995 bebaute Gelände wurde ab 2007 beräumt. Heute erinnern Grabsteine und Info-Stele an die ehemalige Nutzung. Der Neue Jüdische Friedhof (bei der Thüringenhalle) wurde 1878 eröffnet und ist der einzige aktive jüdische Friedhof in Thüringen. Er beherbergt Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert bis heute. Die Leichenhalle wurde 1894 als funktionsgerechter Bau im orientalischen Stil mit neoklassizistischen Elementen von Architekt Hugo Hirsch entworfen.
Bildung einer „AG 1700 Jahre Juden in Deutschland"
Im Jahresgespräch der Landesregierung mit den Evangelischen Kirchen und Römisch-Katholischen Bistümern im Freistaat Thüringen am 12.6.2018 wurde angeregt, sich in Thüringen 2021 am Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zu beteiligen. Hintergrund sei ein Erlass des römischen Kaisers Konstantin für Juden, sich in Köln ansiedeln zu dürfen. Ziel ist es Juden nicht nur als Opfer, sondern als Mitgestalter in Geschichte und Kultur Deutschlands wahrzunehmen. Der Ministerpräsident wies daraufhin, dass eine 1700 jährige Existenz jüdisch angesiedelter Menschen in Thüringen historisch zwar nicht zu belegen sei, aber in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe initiiert von den kirchlichen Vertretern sollten geeignete Maßnahmen erörtert werden.
Sog. „jüdisches Ensemble Berkach“
Berkach wird vom Förderverein Grabfelder Bildungs- und Begegnungsstätte Berkach e.V. und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen der Aufbau und Betrieb einer Bildungs- und Begegnungsstätte (Kosten: ca. 1,7 Mio. €) als sog. „jüdisches Ensemble Berkach“ (Synagoge, Jüdische Schule, Vierseithof, ferner Mikwe, Friedhof) geplant.
In mehreren Gesprächen mit Landesregierung (TSK, TMBJS, TMWWDG) Förderverein, Vertretern des Landkreises Schmalkalden-Meiningen, der Stadt Meiningen, der Gemeinde Grabfeld, sowie Jüdischer Landesgemeinde Thüringen konnte aber keine Realisierung des Projekts erreicht werden.