Entwicklungspolitische Leitlinien
Thüringen
Ausgangslage und Zielstellung
Akteure und Programme der Entwicklungszusammenarbeit
Entwicklungspolitische Handlungsschwerpunkte Thüringens
Querverweise zur Agenda 2030
SDG 5.1: Alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beenden.
SDG 5.5: Die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben sicherstellen.
SDG 10.3: Chancengleichheit gewährleisten und Ungleichheit der Ergebnisse reduzieren, namentlich durch die Abschaffung diskriminierender Gesetze, Politiken und Praktiken und die Förderung geeigneter gesetzgeberischer, politischer und sonstiger Maßnahmen in dieser Hinsicht.
SDG 10.2: Bis 2030 alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung, Rasse, Ethnizität, Herkunft, Religion oder wirtschaftlichem oder sonstigem Status zu Selbstbestimmung befähigen und ihre soziale, wirtschaftliche und politische Inklusion fördern.
SDG 16.1: Alle Formen der Gewalt und die gewaltbedingte Sterblichkeit überall deutlich verringern.
Menschenrechte bilden die universelle Grundlage für ein Leben in Freiheit, Würde und Gleichberechtigung. Sie gewährleisten, dass jeder Mensch am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben teilnehmen und seinen Lebensstil, seine Kultur und Religion frei wählen kann.
Die Verfassung des Freistaates Thüringen enthält in Artikel 1 das Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder staatlichen Gemeinschaft, zum Frieden und zur Gerechtigkeit. Aus diesem Bekenntnis leitet sich der Einsatz für soziale Gerechtigkeit den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, gesellschaftliche Teilhabe und für ein friedliches Miteinander in Thüringen, Deutschland und der ganzen Welt ab.
Bezüge:
Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit
Landesprogramm Akzeptanz und Vielfalt (vorgesehen)a. Menschenrechte, Demokratie und Vielfalt
Menschenrechte, Demokratie, die Anerkennung pluraler und diverser Gesellschaften, die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung sind Leitprinzipien aller entwicklungspolitischen Aktivitäten des Freistaates Thüringen. Die Thüringer Landesregierung geht aktiv gegen die Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierungen in Thüringen vor.
Die Beachtung der Menschenrechte insbesondere beim Umgang mit schutzsuchenden und schutzbedürftigen Menschen sind zentrale Bestandteile des entwicklungspolitischen Handelns in Thüringen. Die Flüchtlings- und Integrationspolitik ist ein Maßstab für die Menschlichkeit einer Gesellschaft. Allen Menschen, gleich aus welchem Grund sie nach Thüringen kommen, ist mit Respekt und Würde zu begegnen.
Der Freistaat Thüringen bekennt sich zur Geschlechtergleichstellung und Gendergerechtigkeit und deren Realisierung. Die Sicherstellung von Chancengleichheit und Teilhabe im politischen, wirtschaftlichen, sozialen und öffentlichen Leben von Frauen und Mädchen und die Sensibilisierung für Genderfragen sind wichtige Ziele der Thüringer Landesregierung, die alle Politikbereiche berührt. Mit dem neuen Thüringer Gleichstellungsgesetz vom 6. März 2013 wurde ein weiterer deutlicher Schritt in Richtung Chancengleichheit und deren konsequenter Durchsetzung getan.
Der Erwerb des Total E-Quality Prädikates trägt dazu bei, Gleichstellung bzw. Gleichstellungspolitik als Qualitätsmanagement von Einrichtungen zu verankern. Dieses Prädikat dokumentiert, dass auch im Bereich der Personalpolitik und Personalentwicklung Chancengleichheit und Vereinbarkeitsthemen berücksichtigt werden.
Demokratie ist das einzige System, das den Menschen umfassend politische und bürgerliche Freiheiten und das Recht auf politische Teilhabe garantieren kann. Keine Staatsform hat sich als erfolgreicher, menschlicher und entwicklungsförderlicher erwiesen. Demokratie lebt von Toleranz, Respekt und der Kultur des Miteinanders. Die Akzeptanz der Vielfalt sexueller Orientierungen, geschlechtlicher Identitäten und individueller Lebensentwürfe entspricht einem modernen und weltoffenen Thüringen. Ein gesellschaftliches Klima zu erreichen und zu erhalten, das die Gleichberechtigung aller Lebensweisen anerkennt, verlangt verantwortungsvolles staatliches Handeln sowie Engagement und Zivilcourage aller Bürgerinnen und Bürger.
Die gesellschaftliche Entwicklung kann nicht von oben verordnet werden, sondern bedarf eines ständigen Ausrichtens und Aushandelns von Zielen, Werten und Normen und kann nur mit Beteiligung aller Menschen an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen umgesetzt werden. In diesem Prozess setzen zivilgesellschaftliche Akteure Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung, indem sie soziale, ökologische und ökonomische Fragestellungen in der Öffentlichkeit thematisieren sowie Ziele und Wege des Wandels aufzeigen. Sie sind ein wichtiges Element der demokratischen Mitwirkung. Diese Mitwirkung gilt es stetig weiter zu entwickeln.
Die Thüringer Landesregierung macht in allen entwicklungspolitischen Aktivitäten diese Grundprinzipien zum Maßstab ihres Handelns. Das Thema Menschenrechte ist ein wichtiger Aspekt in der Aus- und Weiterbildung des öffentlichen Dienstes. Nach der Rahmenleitlinie PERMANENT - Personalmanagement für Thüringen - wird den Ressorts empfohlen, die Charta der Vielfalt zu unterzeichnen.
Die Thüringer Landesregierung unterstützt die Umsetzung des Nationalen Aktionsplan "Wirtschaft und Menschenrechte". Mit dem Aktionsplan wird erstmalig die Verantwortlichkeit deutscher Unternehmen zur Wahrung der Menschenrechte in einem festen Rahmen verankert, indem global einheitliche und überprüfbare Standards festgelegt werden. Mit dem Ziel, die menschenrechtliche Lage entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette in Deutschland und weltweit zu verbessern, bündelt der Plan die Stärken der verschiedenen Akteure aus Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften.
b. Gesellschaftlicher Wandel
Eine Kultur der Menschenrechte zu fördern ist das Ziel der Menschenrechtsbildung im Freistaat Thüringen. Dabei geht es nicht nur um die Bekannt- und Sichtbarmachung der Menschenrechte, sondern auch um Herausbildung von Achtung, Toleranz und Respekt vor anderen Menschen sowie um eine grundlegende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Auf dieser Grundlage soll die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen ermöglicht, Chancenungleichheiten entgegengewirkt sowie Benachteiligungen abgebaut werden. Diese Kultur fördert der Freistaat durch eine Bildung über, durch und für die Menschenrechte, das bedeutet ganzheitliche Bildungs- und Lernprozesse in allen Bildungsbereichen und insbesondere in der Aus- und Fortbildung des öffentlichen Dienstes.
Bewaffnete Konflikte, zunehmende weltweite Flucht- und Migrationsbewegungen sowie Klimawandel und Ressourcenknappheit haben erhebliche Auswirkungen auf die Verwirklichung der Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Geschlechter.
Rüstungsexporte sind keine Exporte wie alle anderen. Thüringen unterstützt daher auf Bundesebene strenge Regeln und eine restriktive Genehmigungspolitik auch für Dual-Use-Güter. Die Landesregierung wird mit den Hochschulen einen Diskussionsprozess über die Einführung einer Zivilklausel führen. Die Möglichkeit einer gesetzlichen Verankerung wird geprüft.
Künftig sollen an Thüringer Schulen keine Unterrichts-, Informations- und Bildungsveranstaltungen in alleiniger Durchführung der Bundeswehr mehr stattfinden. Die gesetzlich garantierte Eigenverantwortung der Schulen bleibt davon unberührt.
Der Freistaat Thüringen unterstützt das Engagement von Personen und Initiativen in Thüringen für Frieden und Menschenrechte, indem er entsprechende Aktivitäten würdigt und ihnen so eine größere Öffentlichkeit gibt.
Der Freistaat Thüringen setzt sich für eine aktive Wahrnehmung der demokratischen Mitbestimmung aller in Thüringen lebenden Menschen auf allen Ebenen ein. Dies betrifft auch die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in Gesetzgebungsverfahren z.B. durch Online-Konsultationen.
Handlungsfelder:
- Menschenrechte, Demokratie und Vielfalt als Leitprinzipien in allen Politikfeldern
- Menschenrechtsbildung stärken
- Engagement für Frieden und Menschenreche unterstützen
- Für Nutzung der Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung werben
Querverweise zur Agenda 2030
SDG 4.7: Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung.
SDG 12.8: Bis 2030 sicherstellen, dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung und eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur verfügen.
Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 wurde dem Bereich Bildung eine wichtige Rolle zugewiesen. Der Umsetzung tragen unter anderem das UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sowie das Konzept der Global Citizenship Education, das als eines der strategischen Felder des UNESCO Bildungssektor-Programmes für die Jahre 2014-2021 benannt wird, Rechnung.
Globales Lernen als pädagogische Antwort auf die Globalisierung ist ein ebenso werteorientierter wie pädagogischer Ansatz. Es unterstützt Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich in der globalisierten Welt zu orientieren, denn es fördert das Verständnis globaler Zusammenhänge sowie der eigenen Rolle darin und verweist auf historische und strukturelle Ursachen globaler Ungleichheit. Es will zu einer globalen Transformation im Sinne globaler Gerechtigkeit, der Verwirklichung von Menschenrechten, Frieden, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der Akzeptanz vielfältiger Identitäten und Lebensentwürfe und eines guten Lebens für alle Menschen und zukünftige Generationen beitragen, denn es befähigt Menschen, die Gesellschaft im Sinne weltbürgerlicher Verantwortung aktiv mitzugestalten.
Eine zentrale Herausforderung für die schulische Bildung ist die flächendeckende, strukturelle und systematische Verankerung der Bildungskonzepte für global nachhaltige Entwicklung in den Unterricht sowie die Aus-und Weiterbildung der Lehrkräfte. Als gemeinsames Projekt haben die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2015 eine aktualisierte Neufassung des Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung in der Schule geschaffen. Er ist die Grundlage zur Vermittlung globaler nachhaltiger Entwicklung in den Schulen durch die Entwicklung von Lehrplänen sowie in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Außerdem hat das BMZ ein „Schulprogramm“ aufgelegt, welches auf Grundlage dieses Orientierungsrahmens auf einen flächendeckenden Ausbau und eine strukturelle Verankerung des Globalen Lernens und der BNE abzielt. Die von der Bundesregierung ins Leben gerufene nationale Plattform BNE erarbeitete einen nationalen Aktionsplan, der die zentralen Handlungsfelder, notwendige Ziele und eine Vielzahl von Empfehlungen für konkrete Maßnahmen gibt, um Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen strukturell besser als bisher zu verankern.
Politische Zielsetzung der Landesregierung ist es, Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung in vorschulischen Einrichtungen, Schulen und Hochschulen sowie im außerschulischen Lernbereich Teil des pädagogischen Alltags werden zu lassen. Das bedeutet in Zusammenarbeit mit den Akteuren der Thüringer Zivilgesellschaft eine konsequente Implementierung der Prinzipien des Lernens in globalen Zusammenhängen und der nachhaltigen Entwicklung in allen Bildungsbereichen.
In Thüringen lebende Menschen mit Migrationsbiographie werden als wichtige Akteure im Kontext von Globalem Lernen/BNE wahrgenommen und der Freistaat Thüringen schafft und fördert Zugänge für die systematische Einbeziehung dieser Gruppe in die Bildungsarbeit. Migrantinnen und Migranten werden dabei nicht nur als kulturelle Botschafterinnen und Botschafter sondern als Fachexpertinnen und –experten für das globale Lernen/BNE einbezogen.
Bezüge:
Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre
Thüringer Lehrpläne der allgemeinbildenden und der berufsbildenden Schulen
Hochschulstrategie Thüringen 2020a. Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung
Zentrales Dokument für die Bildung von Kindern und Jugendlichen ist der Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre als Orientierungsrahmen für die pädagogische Arbeit für alle Bildungsorte und für alle, die im Bildungsbereich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Der Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre berücksichtigt daher informelle, non-formale und formale Bildungsprozesse gleichermaßen. Auch wenn der Thüringer Bildungsplan Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht als expliziten Bildungsbereich benennt, erfolgt in den Bildungsbereichen immer stärker eine Ausrichtung an den Prinzipien des Lernens in globalen Zusammenhängen und der nachhaltigen Entwicklung.
In den Thüringer Rahmenlehrplänen werden verstärkt Anknüpfungspunkte zum Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung und den Nationalen Aktionsplan BNE verdeutlicht und diesbezüglich neue Perspektiven für Lehrende eröffnet. Bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden wird dem Bereich Globales Lernen/BNE ein wichtiger Stellenwert beigemessen.
Der Freistaat Thüringen unterstützt Einrichtungen und Bildungsprojekte, die Globales Lernen/BNE in Thüringen umsetzen, insbesondere bei der Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und der Umsetzung von Bildungsaktivitäten.
Der Freistaat fördert die Bildungsarbeit darüber hinaus in Schulpartnerschaften, wie auch die Zusammenarbeit der Schulen mit anderen entwicklungspolitischen Akteurinnen und Akteuren sowie eine verbesserte Sichtbarkeit von Qualifizierungsangeboten für Lehrkräfte und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Das Internetangebot des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (z.B. Thüringer Schulportal) eröffnet die Möglichkeit, entsprechende Angebote, auch nichtstaatlicher Träger, darzustellen.
Schulnetzwerke wie BNE-Schulen, Europaschulen, Fairtrade-Schools, UNESCO-Projektschulen werden durch den Freistaat weiter unterstützt und gefördert. Entwicklungspolitische Fragen bewegen nicht nur die Schule als Einrichtung, also Lehrkräfte, Schulleitung, Schulsozialarbeit, Erzieher und sonderpädagogische Fachkräfte sowie Schülerinnen und Schüler, sondern ebenso das nicht-pädagogische Schulpersonal und die Eltern. Auch neben dem Unterricht müssen die Beschaffungspraxis von z.B. Schulmöbeln, Technik und Papier, die Verpflegung in der Schulmensa und die demokratische Schulkultur Momente aktiver Gestaltung von global nachhaltiger Entwicklung sein.
Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen die schulische Bildung im Kontext von demographischem Wandel bei den Lehrenden, bundesweitem Fachkräftebedarf, der regional unterschiedlichen Entwicklung der Zahl von Schülerinnen und Schülern und parallel zu verfolgenden Zielen der Inklusion und Integration der seit 2015 zugewanderten Kinder und Jugendlichen, werden eine flächendeckende, strukturelle und systematische Verankerung des Bildungskonzeptes Globales Lernen/Bildung für Nachhaltige Entwicklung langfristige Prozesse sein.
Das Thüringer Bildungsfreistellungsgesetz und das Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz bilden einen Rahmen für das Globale Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung auch nach der schulischen und beruflichen Ausbildung.
Als zentraler Ansprechpartner der Landesregierung für Globales Lernen/BNE wird das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport durch ein Fachgremium unterstützt.
Zu erstellende Qualitätskriterien bilden einen Orientierungsrahmen für Bildungsangebote, er-möglichen Transparenz beim Angebot von Bildungsveranstaltungen und unterstützen die Kommunikation über Globales Lernen/BNE mit Lehrkräften. Die BNE Akteure erarbeiten mit Unterstützung des Freistaats ein Qualitäts- und Zertifizierungskonzept, mit dem ein gemeinsamer Rahmen für den für die Bildung für nachhaltige Entwicklung geschaffen werden soll. Das Fachgremium Globales Lernen/BNE wird die Erarbeitung, Umsetzung und Fortschreibung des Konzeptes wirkungsvoll begleiten.
b. Internationalisierung und nachhaltige Entwicklung an den Hochschulen
Das Land Thüringen und seine Hochschulen setzen sich für eine weitere Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung im Freistaat ein. Die Landesregierung sorgt für eine stabile Finanzierung seiner Hochschulen und wirkt durch die Hochschulentwicklungsplanung strategisch darauf hin, dass die Hochschulen die Prinzipien Globalen Lernens und nachhaltiger Entwicklung in Forschung und Lehre integrieren können. Sie schafft Rahmenbedingungen, unter denen die Thüringer Hochschulen demokratisch, eigenverantwortlich und transparent handeln.
Die Anerkennung der an Thüringer Hochschulen absolvierten Abschlüsse und die zunehmende Zahl an ausländischen Studienbewerbungen sind für die Hochschulen Qualitätshinweise und Belege ihrer zunehmenden Internationalität. Anstrengungen der Hochschulen zur weiteren Internationalisierung, wie z.B. die Erweiterung des Lehrangebots, die Unterstützung ausländischer Studienanfänger, Studierender, Absolventinnen sowie Absolventen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärken zugleich den Bildungs- und Forschungsstandort. Durch die Internationalisierung der Thüringer Hochschulen kann die Qualität in Lehre und Forschung sowie die Reputation und Sichtbarkeit der Thüringer Hochschulen in der internationalen Hochschul- und Forschungslandschaft verbessert werden.
Der Auf- und Ausbau von internationalen Hochschulpartnerschaften mit Wissens- und Technologietransfer wird unterstützt. Thüringer Hochschulen haben bereits zahlreiche Partneruniversitäten und Kooperationen mit Ländern des Globalen Südens oder der sogenannten BRICS-Staaten. Die Ausgestaltung dieser Partnerschaften und Kooperationen reicht von der Vermittlung von Auslandspraktika bis zu Doppelabschlussprogrammen mit ausländischen Hochschulen. Eine Besonderheit ist der Internationale Studiengang Umwelttechnik und Entwicklung B.Sc. der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. In diesem Studiengang leisten die Studierenden einen Teil ihres Studiums in Ländern des Globalen Südens. Das Modul Entwicklungszusammenarbeit wird mit dem Kooperationspartner Eine Welt Netzwerk Thüringen gemeinsam gestaltet.
Die Landesregierung fördert den verstärkten Austausch zwischen Studierenden, Lehrenden und Forschenden aus Thüringen und anderen Teilen der Welt – u.a. auch mit Ländern des Globalen Südens. Ein gestaffeltes Kooperationssystem der Hochschulen, von relativ niederschwelligen Einzelmaßnahmen, wie Exkursionen, über internationale studentische Projekte bis hin zu langfristigen institutionellen Kooperationen, wie zur Verleihung von transnationalen Hochschulabschlüssen, kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Durch Nutzung digitaler Werkzeuge lassen sich Austausch und Kooperation intensivieren. Die Internationalisierung der Thüringer Hochschulen wird durch die Willkommenskultur an Thüringer Hochschulen, die etablierten Aktivitäten der Internationalen Büros sowie durch Kooperationen zwischen Hochschulen, zivilgesellschaftlichen Akteuren, Kommunen und der regionalen Wirtschaft gefördert.
Der Anteil ausländischer Studierender, gemessen an der Gesamtstudierendenzahl, betrug im Wintersemester 2016/2017 an den Thüringer Hochschulen ca. 13 Prozent. Dabei kommt die größte Gruppe aus China. Die Studienplatzkosten für Studierende aus Ländern des Globalen Südens liegen im Jahr 2018 in Thüringen bei etwa 39,1 Mio. Euro und haben sich damit in den vergangenen Jahren deutlich erhöht.
Der Freistaat Thüringen unterstützt die staatlichen Hochschulen dabei, Studien- und Weiterbildungsmöglichkeiten auch für Studierende aus Ländern des Globalen Südens und für geflüchtete Menschen vorzuhalten. Die Vergabe von Stipendien und den Auf- und Ausbau von Studienbegleitprogrammen sind wichtige Mittel für dieses Ziel. Entwicklungspolitische Alumni-Strukturen befördern den Austausch und die Vernetzung. Die Thüringer Hochschulen bemühen sich, den Anteil der ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler zu erhöhen und diese insbesondere für Professuren zu gewinnen.
Die Landesregierung fordert die Thüringer Hochschulen auf, Nachhaltigkeits- und Entwicklungsthemen stärker in der Lehre zu verankern. Die Thüringer Hochschulen werden ermutigt, im Rahmen ihrer Profile fachspezifische und überfachliche Lehrangebote zu Themen der global nachhaltigen Entwicklung zu etablieren und deren Aspekte in die Entwicklung der Lehrangebote und Forschungsprofile der Hochschulen zu integrieren. Ziel ist es, entsprechende Lehrinhalte in allen und insbesondere in pädagogischen Studienrichtungen (Lehramt, Erziehungswissenschaften, Sozialpädagogik etc.) stärker zu integrieren sowie interdisziplinäre Studiengänge zu etablieren. Die Thüringer Hochschulen sollen dabei eng zusammenarbeiten.
Der Ausbau von fremdsprachigen bzw. bilingualen Lehrangeboten wird befürwortet. Zugleich sollen Angebote für deutsche Studierende geschaffen werden, die deren internationale Kompetenzen stärken. Durch Studien-, Austausch- und Praktikumsaufenthalte kann die Süd-Nord- bzw. Nord-Süd-Mobilität von Studierenden und Lehrenden gestärkt werden. Auch im Bereich der Hochschulkooperationen sollen internationale Süd-Nord-Hochschulkooperationen weiter gepflegt sowie Vernetzungs- und Austauschaktivitäten in Lehre und Forschung aus- und ggf. aufgebaut werden. Das Land fordert seine Hochschulen auf, hierfür bestehende Fördermöglichkeiten (DAAD, DFG, AvH, EU etc.) stärker zu nutzen.
Handlungsfelder:
- Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung in der formalen Bildung stärken
- Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung in der nonformalen Bildung unterstützen
- Strukturen und Qualitätskriterien für Globales Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung verbessern
- weitere Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung und die stärkere Beachtung entwicklungspolitischer Aspekte
Querverweise zur Agenda 2030
SDG 5.1: Alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beenden.
SDG 5.2: Alle Formen von Gewalt gegen alle Frauen und Mädchen im öffentlichen und im privaten Bereich einschließlich des Menschenhandels und sexueller und anderer Formen der Ausbeutung beseitigen.
SDG 10.7: Eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen erleichtern, unter anderem durch die Anwendung einer planvollen und gut gesteuerten Migrationspolitik.
SDG 10.7: Eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen erleichtern, unter anderem durch die Anwendung einer planvollen und gut gesteuerten Migrationspolitik.
Migration hat viele Facetten. Im Freistaat Thüringen leben seit geraumer Zeit Menschen aus vielen Herkunftsländern. Sie gestalten die Gesellschaft aktiv mit und engagieren sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und sind so ein wichtiges gesellschaftspolitisches Potential. Daher betrachtet der Freistaat Thüringen Zuwanderung als Bereicherung der Gesellschaft, um die sich bemüht und geworben werden muss und wofür Anreize zu schaffen sind, damit sie stattfinden kann. In Thüringen lebten 2016 insgesamt 84.000 Ausländer und insgesamt 131.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei ist die Zahl der Ausländer durch die Fluchtwelle im Jahr 2015 deutlich gestiegen.
Das Thüringer Integrationskonzept, das im Herbst 2017 verabschiedet wurde, ist die wichtigste Leitlinie für die Integrationspolitik der Landesregierung. Zentrales Ziel ist die Ermöglichung der Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund und -biographie an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Unabhängig vom Aufenthaltsstatus soll Menschen eine Perspektive für die Lebensgestaltung eröffnet werden.
Die Landesregierung lädt alle Menschen mit Migrationshintergrund in Thüringen in den Integrationsprozess ein. Ihnen werden passende Integrations-, Bildungs- und Beratungsmaßnahmen angeboten. Besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende, die auf absehbare Zeit in Thüringen bleiben werden. Unabhängig von der Frage des Aufenthaltsstatus ist allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dies verlangt sowohl die Menschenwürde der betroffenen Menschen als auch die gesellschaftliche Vernunft.
Angesichts der zunehmenden Heterogenität der Gesellschaft sind die Förderung der Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit sowie der strukturellen und gesellschaftlichen Teilhabe und die soziale Sicherheit Schlüsselaufgaben für die Zukunftsfähigkeit Thüringens. Die Migrations- und Flüchtlingspolitik des Freistaates basiert auf der Achtung der Menschenrechte, dem Schutz vor Verfolgung und dem Recht auf würdige Lebens- und Arbeitsbedingungen für Zugewanderte.
Die Integration von Migrantinnen und Migranten und deren Kindern in das Bildungssystem, die Anerkennung ihrer Qualifikationen, die politische Partizipation sowie Maßnahmen gegen Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt sind unabdingbare Voraussetzungen für eine gelingende Integrationspolitik. Die strukturelle, gesellschaftliche und politische Teilhabe der Zuwanderer, insbesondere der zuwandernden Frauen hängt stark von den Rahmenbedingungen im aufnehmenden Land ab. Mit den Rahmenbedingungen entscheidet sich, ob die Zugewanderten durch die Migration an Autonomie gewinnen können oder ob sie riskieren, diskriminiert und ausgebeutet zu werden.
Das Integrationskonzept verfolgt einen partizipatorischen Ansatz. Es wurde gemeinsam mit den Thüringer Akteurinnen und Akteuren der Integrationsarbeit und den Landkreisen, kreisfreien Städten sowie Gemeinden hinsichtlich seiner politischen Ziele und der im Bereich der Integration auftretenden Probleme erarbeitet. Ein interministerieller Arbeitsstab wird die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen begleiten und evaluieren und dies nach zwei Jahren in einem Bericht dokumentieren.
Bezug:
Thüringer Integrationskonzepta. Chancen und Potentiale erkennen und sozialen Zusammenhalt stärken
Migrantinnen und Migranten als fachkompetente Partner anzuerkennen, sie bei Entscheidungsprozessen einzubeziehen, ihre Potentiale – sowohl für Thüringen als auch für ihre Herkunftsländer – zu stärken und Migrationspolitik in sinnvoller Weise mit der Entwicklungspolitik zu verknüpfen, kennzeichnet das migrations- und entwicklungspolitische Handeln des Freistaats Thüringen.
Die Landesregierung fördert die politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten unter anderem durch den beim Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz angesiedelten Landesintegrationsbeirat sowie durch die kommunalen Integrations-, Migrations- und Ausländerbeiräte. Im Integrationskonzept ist festgehalten, dass die Landesregierung Menschen mit Migrationshintergrund bei der Gründung und Weiterentwicklung von Migrantenselbstorganisationen zu handlungs- und ausdrucksfähigen Vertretungsinstanzen unterstützt. Darüber hinaus fördert sie die Vernetzung von Migrantenorganisationen.
Der Freistaat erleichtert den Weg von Migrantinnen und Migranten auf den Arbeitsmarkt und fördert Maßnahmen und Projekte, um die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Migrantinnen und Migranten nachhaltiger zu verbessern. So wird aus dem Landesprogramm „Arbeit für Thüringen“ eine Vielzahl von Projekten finanziert, mit denen die Arbeits- und Ausbildungsintegration von geflüchteten Menschen hier in Thüringen unterstützt wird. Damit wird dem Fach- und Arbeitskräftedefizit im Freistaat begegnet und die Integration unterstützt, die am besten über Beschäftigung oder Ausbildung funktioniert. Seit 2013 hat sich die Anzahl der Beschäftigten mit ausländischem Pass verdoppelt und liegt derzeit bei rund 28.000 bezogen auf rund 800.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte insgesamt. Von diesen 28.000 Menschen haben etwa 1.600 einen Fluchthintergrund.
Der Freistaat Thüringen legt ein besonderes Augenmerk auf die Stärkung und Förderung von Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe von Migrantinnen und geflüchteten Frauen und Mädchen.
Das Land fördert die Entwicklung einer Willkommenskultur auf allen behördlichen und gesellschaftlichen Ebenen für alle hier lebenden zugewanderten Menschen. Insbesondere wird hierbei die Situation in ländlich geprägten Gegenden, die bisher eher wenig Erfahrung mit Zuwanderung hatten, in den Blick genommen. Die interkulturelle Öffnung von staatlichen Einrichtungen, Stellen und Behörden sowie die Unterstützung der interkulturellen Öffnung nichtstaatlicher Einrichtungen durch die Landesregierung ist dafür eine wichtige Grundlage. Fachkräfte sollen konsequent und nachhaltig beim Erwerb interkultureller Kompetenzen unterstützt und die Willkommens- und Anerkennungskultur somit gestärkt werden.
Zu den wichtigsten vom Freistaat verantworteten Maßnahmen im Bereich der Willkommens- und Anerkennungskultur gehört das „Welcome Center Thuringia“, als Anlaufstelle für Menschen mit Migrationshintergrund sowie für an einer Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten interessierte Thüringer Unternehmen. Integrationsprojekte und -maßnahmen werden darüber hinaus im Rahmen der Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen des Freistaats Thüringen für die Förderung der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz gefördert. Hierdurch werden Projekte realisiert, die insbesondere zur Verbesserung der sprachlichen Kompetenz von Migrantinnen und Migranten beitragen, Beratungs- und Begegnungsmöglichkeiten geschaffen und zudem die Selbstorganisation und Selbstbestimmung der Zielgruppe gestärkt. Weitere Maßnahmen sind der Einsatz von Integrationsmanagerinnen und -managern in den Thüringer Landkreisen und kreisfreien Städten sowie die bedarfsgerechte Erweiterung der ThINKA-Projekte (Thüringer Initiative für Integration, Nachhaltigkeit, Kooperation und Aktivierung).
Die Landesregierung unterstützt den Einbürgerungswillen von Migrantinnen und Migranten und erleichtert im Rahmen ihres Handlungsspielraumes die Bedingungen für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft.
b. Globale Zusammenhänge verstehen und lokal handeln
Der Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung ist auf die politische Agenda der Vereinten Nationen und der internationalen Organisationen gerückt. Die Beziehung zwischen Migration und Entwicklung wird von den internationalen Akteuren unterschiedlich akzentuiert: Für einige stehen die Rechte der Migrantinnen und Migranten im Vordergrund, andere betonen die wirtschaftlichen Aspekte.
Im Zusammenhang mit Migration und Entwicklung ist die Bedeutung von Geldüberweisungen von Migrantinnen und Migranten in ihre Herkunftsländer zu beachten: 2009 transferierten sie rund 11 Milliarden Euro aus Deutschland in alle Welt[1].
Bei der Förderung zirkulärer Migration sind die integrationspolitischen Fehler aus der alten „Gastarbeiter“-Beschäftigungsära zu vermeiden; angesichts der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Fehlen einer europäischen Sozialunion sind für sich hieraus ergebende Probleme bei den Sozialstandards innovative und gerechte Lösungen anzustreben.
Im Hinblick auf die Migration in den EU-Raum und insbesondere nach Deutschland setzt sich der Freistaat Thüringen auf Bundesebene für die Schaffung eines modernen deutschen Einwanderungsrechts ein, das irreguläre Migration, deren Risiken und kriminelle Auswüchse zurückdrängt. Migration fördert Pluralität und erweitert die globalen Perspektiven als Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung in Ziel- und Herkunftsländern. Die einseitige Fixierung auf die migrationspolitischen Interessen des Globalen Nordens fördert nicht die partnerschaftliche Kooperation mit dem Globalen Süden. Thüringen bekennt sich zu einer Migrationspolitik auf Bundes- und Europaebene, die menschenrechtliche Gesichtspunkte und die Interessen der Herkunftsländer stärker einbezieht. Dazu nutzt der Freistaat seine Mitwirkungsrechte in der Bundes- und Europapolitik insbesondere über den Bundesrat und den Ausschuss der Regionen.
[1] Geldtransfers von Migranten in der Entwicklungszusammenarbeit, Orientierung für die Praxis; GIZ, Februar 2013
Handlungsfelder:
- Migration als Bereicherung gestalten und die Integration fördern
- Entwicklung einer Willkommenskultur auf allen Ebenen
- Eine Migrationspolitik auf Bundes- und Europaebene unterstützten, die menschenrechtliche Gesichtspunkte und die Interessen der Herkunftsländer stärker einbezieht
[Stand: 20. Februar 2018]